J. A. Helfert, Der Brünner Landtag im Jahre 1848 und das mährische Landeswappen, 1897

Der Brünner Landtag im Jahre 1848 und das mährische Landeswappen von Josef A. Frhr. v. Helfert.

Separatabdruck aus der "Zeitschrift des Vereines für die Geschichte Mährens und Schlesiens". 1. Jahrgang. 2. Heft.


Der Brünner Landtag im Jahre 1848 und das mährische Landeswappen.
Von Josef A. Freiherrn v. Helfert.

Meinem hochverehrten Freunde Dr. Aloys Freiherrn v. Pražák verdanke ich eine Reihe von mährischen Kundmachungen, Aufrufen, Landtagsbeschlüssen und -Entwürfen zur Bereicherung meiner 1848/9er Sammlung, und eine sehr wertvolle Zusammenstellung seiner eigenen Theilnahme an diesen Verhandlungen, von der ich mit seiner freundlichen Erlaubnis hier erschöpfenden Gebrauch zu machen gedenke.

Das Sprichwort sagt: Alle wege fuhren nach Rom, und beim Franzosen heißt es: On revient toujours à ses premiers amours. So ist es auch mit uns Alten, die wir die aufregenden Wechselfälle jener denkwürdigen Zeit durchgemacht haben. Doch selbst abgesehen von solchen persönlichen Erinnerungen haben jene Ereignisse so grundlegend und durchgreifend in alle Richtungen des öffentlichen Lebens eingegriffen, daß man, von welcher Seite immer man unsere heutigen Erscheinungen ansehen mag, überall auf das Jahr 1848 als ihren Anfang und ihre Wurzel zurückkommt.

Unter den Begebenheiten des Jahres 1848 waren einige, die großen Lärm machten und Aufsehen erregten und in aller Welt gekannt und genannt wurden, dann aber wieder andere, die sich in engerem Kreise abspielten und, von dem Schwall jener gewaltigen und auffallenden Thatsachen erdrückt, in weiterem Umfange keinerlei Beachtung fanden. Während in der Wiener Winter-Reitschule der constituirende Reichstag beissamen saß und die Aufmerksamkeit von ganz Europa auf sich zog, tagten in einzelnen Ländern die Landtage fort und entfalteten mitunter eine Thätigkeit, deren Früchte nicht in solchem Maße hätten unterschätzt werden sollen, wie es thatsächlich dem überragenden Ansehen des Wiener Reichstages gegenüber der Fall war. Fassen wir einen dieser Landtage näher ins Auge! Es würde sich wohl der Mühe verlohnen, seiner Geschichte einiges Studium zu widmen; was hier geliefert wird, soll eine bloße Skizze sein.

Im März 1848 war der mährisch-ständische Landtag in Brünn versammelt. Am 18. gelangte an die Stände ein Allerhöchstes Rescript, das, unter Mittheilung des kaiserlichen Patentes vom 15. März über die Gewährungen von Pressfreiheit, Nationalgarde und Constitution, die Aufforderung enthielt: „die Anträge, in welcher Art dem Bürgerstande ein ausgedehnterer Einfluss auf die stäandischen Berathungen einzuräumen wäre, zu erstatten, wie auch die Wünsche und Vorschläge über die zeitgemäße Umstaltung und Verbesserung der Municipal- und Gemeinde-Einrichtungen zu unterlegen.“

Nach der älteren Verfassung Mährens waren bloß die sieben königlichen Städte des Landes – Olmütz, Brünn, Znaim, Iglau, Ungarisch-Hradisch, Gaya und Mährisch-Neustadt – im Landtage vertreten. Jede der genannten Städte entsandte in der Regel den Bürgermeister, der ein von der Regierung ernannter Beamte und Vorstand des städtischen Magistrats war, oder einen rechtskundigen Rath des Magistrats und einen oder mehrere Bürger aus der Mitte des Gemeinde-Ausschusses nach Brünn. Sie bildeten am Landtage die Curie der Städte und hatten als solche gemeinsam nur eine Stimme, die von Olmütz oder Brünn abgegeben zu werden pflegte.

Das allererste des nun nach Inhalt des kaiserlichen Rescriptes auf breitere Grundlage zu stellenden Landtages war, daß gleich in der Sitzung vom 30. März der Beschluss gefasst wurde, jede der königlichen Städte solle eine Stimme für sich haben. In der darauf folgenden Sitzung vom 31. März wurde beschlossen, und zwar einstimmig, daß auch der Bauernstand landtagsfähig sein und aller, auch der nichtadelige landtäfliche Grundbesitz seine Vertretung im Landtage finden sollte; am 17. April trat die Vertretung der Landes-Universität Olmütz durch eine Virilstimme hiezu.

Die Deputierten der königlichen Städte strebten nunmehr eine stärkere Vertretung des bürgerlichen Elements an, was ihnen in derselben Sitzung durch provisorische Einräumung einer Anzahl von dreißig Virilstimmen gewährt wurde. Gewählt wurden jetzt nicht mehr regelmäßig die nach altem Herkommen landtagsfähigen Mitglieder des Magistrats und des Gemeindeausschusses, sondern zumeist Männer des allgemeinen Vertrauens aus dem Schoße der Bürgerschaft, und damit kam in den altständischen Landtag eine Anzahl ganz neuer Persönlichkeiten.

Aloys Praschak oder, wie er sich, zur ursprünglichen Schreibweise seines Namens zurückkehrend, später schrieb Pražák, Sohn des Hradischer Bürgers Augustin Praschak (1) Augustin war im Taufbuche auf den Namen „Pražák“ eingetragen, hatte aber später die deutsche Schreibweise „Praschak“ angenommen, welche der Sohn, als das slawische Bewustsein erwachte, gegen die allein richtige frühere Schreibweise eintauschte), hatte nach erlangtem juridischen Doctorat im Jahre 1847 die Advocatenprüfung bestanden, aber weil es mehrere Jahre währen musste, um ein stallum advocandi zu erlangen, von dem Landes-Gubernium das Befugnis der öffentlichen Agentur, einer Geschäftsführung in nichtstreitigen Angelegenheiten, mit dem Sitze in Brünn erlangt und dadurch in den Augen seiner engeren Heimatsgenossen eine Stellung gewonnen, die ihn zu einer Art Vertrauensperson in der Landeshauptstadt machte. Als es daher in Ungarisch-Hradisch zur Wahl der Abgeordneten in den erweiterten Landtag kam, wurden Vater Augustin und Sohn Aloys Praschak zu Deputierten der Stadtgemeinde erkoren.

Die in solcher Weise umgestaltete und verstärkte Städtecurie erließ einen Aufruf an alle im Landtage bisher nicht vertretenen mährischen Städte, ihre Wünsche für die demnächst zu verhandelnde Wahlordnung zu formulieren und einzusenden; ihre Eingaben hatten sie an die Agenturkanzlei des Dr. Pražák zu leiten, der dadurch in die Mitte der landtäglichen Thätigkeit gestellt und mit in das zur Ausarbeitung eines Landtagsstatuts eingesetzte Comité berufen wurde.

Das provisorische Statut für den einzuberufenden neugestalteten Landtag, in welchen nebst den Virilstimmen besitzenden Eigenthümern oder Bevollmächtigen landtäflicher Güter und dem Vertreter der Landes-Universität die städtische und ländliche Bevölkerung ihre Deputierten zu entsenden hatte, wurde der Allerhöchsten Sanction vorgelegt; bis zum Herablangen derselben wurden die öffentlichen Sitzungen eingestellt. Damit jedoch bis dahin, sowie überhaupt in Zeiten, wo der Landtag nicht versammelt war, ein denselben ersetzendes Organ in Brünn bleibe, verstärkte der Landtag den bisherigen Landesausschuss durch Vertreter aus dem Schoße der einzelnen Curien, und so entstand der große Landtagsausschuss, der gleichsam als Executivcomité des Landtags zu fungieren hatte.

Die Sitzungen des großen Ausschusses waren vertraulich, dafern er nicht als Mandatar des Landtages zu Kundgebungen nach außen veranlasst war.

***

Eine der ersten Aufgaben des altständischen nur durch die Virilstimmen der königlichen Städte erweiterten Landtags war die Abgabe seiner Aeußerung über die Petition der königlichen Hauptstadt Prag, worin Se. Majestät unter andern um die Gewährung eines gemeinsamen Landtages für die Länder der böhmischen Krone, der an die Stelle der drei abgesonderten Landtage von Böhmen, Mähren und Schlesien treten sollte, gebeten worden war, und welche Petition die Allerhöchsten Bewilligungen vom 8. April zur Folge gehabt hatte. Von Prag aus wurde um Osterzeit Dr. Eduard Šebek, Mitglied des dortigen Nationalausschusses, nach Mähren abgeschickt, um im Bruderlande zu Gunsten dieser Angelegenheit Stimmung zu machen. (1) Oesterr. Jahrbuch 1894, S. 150 f.)

Doch in Mähren war man durchaus nicht geneigt, auf einen solchen Vorschlag einzugehen, weil man darin einen Angriff auf die Selbständigkeit des Landes erblickte. Dr. Pražák wurde mit der Berichterstattung über die Prager Petition betraut und der auf Ablehnung derselben lautende Antrag der Commission vom Landtage angenommen.

Mähren trat jetzt in Gegensatz zu Böhmen, und das seit langem bestehende Misstrauen der Deutschen gegen die böhmischen Bestrebungen trug nicht wenig zur Verschärfung dieses Gegensatzes bei. Alles was mit Böhmen gemeinsam war, sollte in Mähren nicht anerkannt werden.

So kam es zur Wappenfrage.

Die böhmischen Landesfarben sind weiß (Silber) und roth. Auch in Mähren wurde bis zum Jahre 1848 der roth in weiß geschachte Adler im Landeswappen geführt und allgemein angewendet. An allen öffentlichen Landesgebäuden, wo der Adler angebracht war, sah man ihn roth in weiß geschacht, und jetzt noch tragen die den Eingang zum Landtagssaale schmückenden ständischen Fahnen, unter welchen die alte mährische Landwehr für Kaiser und Vaterland ins Feld gezogen war, diese Farben. Der Adler war im blauen Felde, und da mit dem Jahre 1848 in Böhmen weiß-blau-roth als slavische Tricolore in Anwendung kam, so bildete für die mährischen Deutschen diese Dreifarbe einen neuen Stein des Anstoßes.

Da kam denn in Erinnerung, daß ja infolge Allerhöchster Wappenverbesserung aus der Zeit Kaiser Friedrich III. (IV.) eigentlich Gold an die Stelle des Silbers hatte treten sollen. Es war nämlich mit kaiserlichem Patente vom 7. December 1462 den mährischen Herren und Rittern für ihre in der Bedrängnis Friedrich geleistete Hilfe das Privilegium ertheilt worden, daß der Landesadler anstatt weiß und roth fortan gelb und roth geschacht sein solle. Thatsächlich war dieses Privilegium nicht in Ausführung gekommen, obwohl der Gnadenbrief Friedrich IV. im Jahre 1628 von Kaiser Ferdinand II. bestätigt worden war. Nur im Punkte der ständischen Uniform trat eine jenem Privilegium entsprechende Aenderung ein, und zwar ziemlich spät. Mit Allerhöchstem Decrete vom 22. October 1807 wurde nämlich eine die neuen Farben tragende Uniform der Mitglieder des mährischen ständischen Landtages genehmigt: roth mit blauen Auffschlägen und goldgestickt. Diese Uniform kam von da an that(s)ächlich in Gebrauch, während die rothen Fracks der böhmischen Stände mit Silber gestickt waren. (Poznámka: Srovnej se zněním dekretu z 23. prosince, kde je uniforma popsána; šachování orlice popsáno jako stříbrnočervené. Dekretem časově zařazeným na den 22. října je míněn dvorský dekret z 23. prosince 1807?) 


Doch mit dem mährischen Landeswappen blieb es beim alten. In der Beschreibung des kaiserlichen Wappens vom Jahre 1836, welche in Uebereinstimmung mit der Wappenregulierung vom Jahre 1806 herausgegeben und auch an die ausländischen Höfe gesandt wurde, erscheint der mährische Adler als von Silber und roth geschacht. Der mährische Landesausschuss erhob 1838 eine Einsprache gegen diese Wappenbeschreibung, indem er Gold statt Silber reclamierte. Die böhmische Hofkanzlei trat hierüber mit der geheimen Hof- und Staatskanzlei in Verhandlung. Doch zu einer Entscheidung kam es nicht, sondern blieb es, wie erwähnt, sowohl im Wappenschild als im Insiegel der vom Lande ausgestellten Urkunden, bis zum Jahre 1848 bei dem weiß in roth geschachten Adler.

Im Lande selbst hielt man sich, schon um des Antagonismus gegen Böhmen willen, an die neue Uebung und demonstrierte damit vor allem bei den Fahnen. Das hatte sich gleich in jenen Tagen gezeigt, wo, wie früher erwähnt, im Landtage über die Prager Petition verhandelt wurde, wobei auf den Plätzen und in den Hauptstraßen Brünns aus den Häusern viele gelb-rothe Fahnen ausgesteckt zu sehen waren. Damit wurde es von da an auch im übrigen Lande, besonders in den vorwiegend deutschen Städten, so gehalten.

***

Mit Ministerialerlass vom 10. Mai genehmigte Baron Pillersdorff die provisorische Zusammensetzung des mährischen Provinzial-Landtages, am 15. erfolgte die Kundmachung in der amtlichen „Brünner Zeitung“ zugleich mit der provisorischen Wahlordnung, und am 31. konnte, nachdem die Wahlen in aller Ordnung vor sich gegangen waren, der Landtag in seiner neuen, doch immer nur provisorischen Zusammensetzung durch den vom Kaiser ernannten Präsidenten Fürsten und Altgrafen Hugo Salm in aller Form eröffnet werden. (1) Salms Eröffnungsrede macht den Anfang des mit Nr. 1 am 28. Juni begründeten „Mährischen Landtagsblattes.“) 

Die thatsächliche Zusammensetzung des Landtages war nun diese: Gesammtzahl der erschienenen Mitglieder 163, davon aus der ersten Gruppe des Großgrundbesitzes 48, aus der zweiten der Städte 56, aus der dritten der Landgemeinden 59. Wenn erwogen wird, dass die Zahl der auf Grund landtäflichen Gutbesitzes berufenen Inhaber von Virilstimmen mehr als 200 betrug, von denen nicht einmal ein Viertheil sich einfand, und dass selbst dieses sich im Hingang der Monate noch verminderte, so erklärt sich das Uebergewicht des bürgerlichen und vornehmlich des bäuerlichen Elements, welches diesem Landtage in den an den altständischen Charakter der früheren Zusammensetzung gewohnten Kreisen die Bezeichnung eines Bauern-Landtages verschaffte.

Dr. Pražák saß im neuen Landtage als Vertreter des Stadt-Hradischer Großgrundbesitzes und nahm eifrig an dessen Arbeiten und Verhandlungen theil. Als die erste und dringendste Angelegenheit galt die Schlussfassung über die Aufhebung und Ablösung der bäuerlichen Grundlasten, worüber gleich in der ersten Sitzung Baron Adalbert Widmann einen Antrag einbrachte, der in der Hauptsache am 1. Juni vom Landtage angenommen wurde. Da aber durch die bloß im Grundsatze erfolgte Regelung der Grundlasten weder der Großgrundbesitz noch die Vertreter des Bauernstandes befriedigt waren, vielmehr beiderseits gewünscht wurde, dass die Ablösungspreise der Robot so schleunig als möglich bestimmt würden, so trat das für diesen Gegenstand eingesetzte Comité neuerdings zusammen. Dem Dr. Pražák fiel als Berichterstatter die Vermittlung zwischen den Berechtigten und Verpflichteten zu, was mehrere Tage angestrengter und aufregender Thätigkeit erforderte, bis die angestrebte Vereinbarung zwischen der Curie des Großgrundbesitzes und jener der Landgemeinden glücklich zustande kam. Am 9. Juni erstattete Pražák im Namen des Ausschusses seinen Bericht, der die Genehmigung des Landtages erhielt, so dass die erste und folgenreiche Frage der Grundentlastung für die Markgrafchsaft Mähren noch vor Eintritt der Pfingsttage zu allseitiger Befriedigung gelöst war. Einige weitere diesen Gegenstand betreffende Beschlüsse wurden unter Pražáks Mitwirkung am 20. und 26. Juni gefasst, und am 30. darüber, soweit die vereinbarten Bestimmungen als Landesgesetze gelten sollten, Anträge an das Ministerium erstattet. Die Allerhöchste Genehmigung erfolgte am 8. Juli, wobei jedoch die Festsetzung der Entschädigungsziffer dem bereits ins Leben getretenen constituirenden Reichstage vorbehalten blieb.

Für diesen Reichstag war Dr. Pražák in drei Bezirken: Ung.-Hradisch, Proßnitz und Wisowitz gewählt; er nahm die Wahl seiner Vaterstadt an. Außer ihm wurden durch die Reichstagswahlen dem mährischen Landtage noch andere bisher mehr oder minder thätige Mitglieder entzogen, Streit, Feifalik, Faschank, Mayer, Szabel, die von da an nur ab und zu in Brünn erscheinen und sich an den dortigen Sitzungen betheiligen konnten.

Der Landtag entwickelte eine sehr umfassende Thätigkeit, die, obwohl seine Haltung durchaus eine loyale und patriotische blieb, doch nach dem Zuge der Zeit und dem Vorbilde des Wiener Reichstages mehr und mehr ins radicale Fahrwasser verlief. So wurde in den Sitzungen vom 19. und 20. Juli die zwangsweise Aufhebung des pfarrlichen Naturalzehents mit Stimmenmehrheit zum Beschlusse erhoben und dem Ministerium zur Erwirkung der Allerhöchsten Bestätigung vorgelegt. Da hiedurch viele Seelsorger in ihrem Einkommen bis unter das Maß der zu ihrem Unterhalt erforderlichen Minimal-Congrua herabgedrückt wurden, so legte die Landtagscommission einen Gesetzentwurf über die Congrua-Ergänzungen der betreffenden Seelsorger vor. Auch mit den Grundsätzen des öffentlichen Unterrichts in Mähren beschäftigte sich der Landtag und nahm ein provisorisches Jagdgesetz an, dessen mit vielem Verständnis getroffene Bestimmungen später bei Berathung eines allgemeinen Jagdgesetzes zur Anwendung gelangen sollten.


***


Das weitaus wichtigste aber war die Berathung der künftigen Landesverfassung. Fürst Salm war schon lang nicht auf dem Präsidentensitze zu sehen. Er schützte schwankende Gesundheit vor; vielleicht war es die demokratisierende Richtung, die den „Bauern-Landtag“ beherrschte, was ihm die fernere Theilnahme verleidete. Für den abwesenden Präsidenten führten der Deputierte Magistratsrath Ignaz Streit aus Iglau, und als dieser zum Wiener Reichstag abgieng, abwechselnd der Appellationrath Karl Ritter Wogkovsky von Wogkov und der Landrath Joseph Cibulka als Präsidenten-Stellvertreter den Vorsitz. In der ersten Hälfte August legte Salm endgiltig seine Stelle nieder und wurde in der Sitzung vom 16. Professor Dr. Johann Koppel aus Olmütz zum Präsidenten gewählt, der aber, da der Landtag die Allerhöchste Bestätigung abwarten zu müssen glaubte, erst in der Sitzung vom 5. September den Präsidentenstuhl einnahm.


Die Berathung der Landesverfassung war zu dieser Zeit bereits in vollem Zuge. Am 13. August war beschlossen worden, dass das Landeswappen dem alten Friedericianischen Privilegium gemäß den gold in roth geschachten Adler im blauen Felde führen sollte. Mit allen anderen Privilegien aber wurde aufgeräumt und namentlich die Wahlordnung auf rein demokratische Grundlage gestellt, der Grundbesitz vollständig übergangen und bloß die Vertretung der Landes-Universität geschont. Selbstverständlich nur eine Kammer! Der in der Sitzung vom 19. August vorgelegte Commissionsantrag lautete: Für das flache Land auf je 20000 Köpfe ein Deputierter; jede Stadt mit mindestens 3000 Einwohnern sollte einen, für je 9000 Einwohner darüber einen zweiten, dritten etc. Deputierten entsenden; von Städten unter 3000 Einwohner sollten je zwei zusammen einen Vertreter wählen. Da kam in der Sitzung vom 19. September der Antrag des Dr. Judex zur Verhandlung: Alle Vorrechte des Adels haben aufzuhören, in Mähren darf kein Adel mehr verliehen werden“. Graf Egbert Belcredi, der etwas später im Saale erschien, gab die Erklärung ab, dass wenn es im Jahre 1848 noch nöthig wäre, auf Aufhebung der Vorrechte des Adels anzutragen, er keinen Anstand nehmen würde, mit seiner schwachen Stimme zu dem Gerichte der öffentlichen Meinung einen Beitrag zu liefern; er glaube jedoch, dass dies nicht nöthig sei, da alle Vorrechte ohnedies schon gefallen seien; die Titel aber hätten mit dem demokratischen Princip nichts zu schaffen, denn diese seien nur eine schöne Erinnerung, deren Glorie in der Vergangenheit liege; ein Vorrecht verdiene nur der, der dem Vaterlande am meisten seine Kräfte weiht, demselben seine besten Dienste widmet; er für seine Person sei Aristokrat von Geburt, aber Demokrat von Gesinnung. (1) „Mähr. Landtagsblatt“ Nr. 46, S. 370.) Doch damit gaben sich die Vollblut-Demokraten nicht zufrieden. Der städtische Deputierte Giřiček meinte, schon der Titel sei ein Vorrecht, und beantragte, auch dieser müsse fallen, und der Deputierte Georg Frebort aus den Landgemeinden trat ihm mit den Worten bei:„Es ist kein Grund vorhanden, dass einer Graf oder Baron heiße, da er doch nicht mehr ist als ein Bauer.“ Zuletzt stellte der Deputierte Wilsdorf den Antrag: „Der Adel hat mit seinen Vorrechten, den Titel inbegriffen, aufzuhören“, und da sich sowohl Dr. Judex als Giřiček diesem Vorschlage anschlossen und die Mehrheit der Anwesenden sich dafür erhob, so war der Adel für Mähren abgeschafft.


Dieser Beschluss hatte ein heiteres Nachspiel und eine ernste Folge. Das erstere spielte sich noch in derselben Sitzung ab. Es erhob sich nämlich Graf Johann Serényi, ein junger Herr von etwas extravaganten Anschauungen und Launen, und sagte mit anscheinendem Ernst: Landtagsbeschlüsse pflegen in der Regel sogleich in Wirksamkeit zu treten. Da ich nun heute nachmittags eine für mich wichtige Urkunde zu unterschreiben habe, so frage ich mich an, ob ich mich noch als Graf unterschreiben darf, ohne mich einer Adelsprävalierung schuldig zu machen.“ Statt der verlangten Antwort erhielt der Interpellant von Koppel einen Ordnungsruf, da dies eine der Versammlung nicht würdige Sprache sei. Als hierauf Serényi sich nochmals erhob: er müsse die Versammlung um Verzeihung bitten, er habe eigentlich das provisorische Jagdgesetz gemeint, fiel ihm Koppel ins Wort: „Wenn Sie so fortfahren, muss ich Sie ein zweitesmal zur Ordnung rufen“ (1) Ebenda S. 372).


Die ernste Folge aber, die der Beschluss über die Aufhebung des Adels nach sich zog, bestand darin, dass nun der Großgrundbesitz seine Rache nahm und sich mit den Deputierten des Bauernstandes gegen jene des Bürgerthums verband: wurde ihm, dem Adel, keine Rücksichtnahme zutheil, so sollten auch die Städte keine finden. So wurde die in zweiter Lesung gebilligte Grundlage der Wahlordnung verworfen, und der Beschluss gefasst, es solle ohne Unterschied von Stadt und Land einfach nach der Kopfzahl gewählt werden, auf je 10000 Einwohner ein Deputierter entfallen; dazu zwei Vertreter der Landes-Universität. Letzteres war eine Inconsequenz; denn wenn kein Unterschied zwischen Großgrundbesitz und anderem Besitz gemacht wurde, so sollte auch keiner zwischen Hoch-Intelligenz (Hochschule) und Durchschnitts-Intelligenz gemacht werden...

Es kamen die furchtbaren Wiener Octobertage, die auch in Brünn bei der dort zahlreichen Arbeiterschaft und dem mitunter radicalen Geiste in den Reihen der Nationalgarde ihre Wirkung äußerten, so dass es zu einer nicht unbedenklichen Gährung kam. Vom Landtage wurde beschlossen „Maßregeln zu treffen, um die persönliche Sicherheit der Vertreter Mährens in Wien zu schützen, damit dieselben frei und ohne Gefahr dort sitzen und stimmen können.“ Zwei derselben befanden sich am 8. bereits in Brünn, Mayer und Pražák. Mayer wurde aufgefordert, auf offenem Markte einen Bericht über die Wiener Vorfälle vom 6. zu erstatten. Mayer, auch „der schwarze Mayer“ genannt, seines eigentlichen Zeichens ein Schlaumeier wie kein zweiter, kannte die getheilte Stimmung, die in seiner Vaterstadt herrschte, sehr wohl und verstand es in der Rede, die er vom Balcon des Kaunitz‘schen Palastes hielt, den Tod Latours so meisterhaft zu schildern, dass niemand zu sagen wusste, billige er das Ereignis oder billige er es nicht. Am folgenden Tage, 9. October, erschien er im Landtage und lieferte dort, vom Präsidenten und mehreren Deputierten aufgefordert, eine neuerliche Darstellung, aus der denn doch einigermaßen durchschimmerte, dass ihm die Greuelthaten des 6. October nicht so ganz recht waren. (1) Seine Rede am a. O. N. 54, S. 484)

Der Landtag unterbrach seine Thätigkeit keineswegs. Am 13. richtete er einen mahnenden Aufruf an das „biedere Mährervolk“, am 23. einen zweiten an die Nationalgarde und die Garnison von Brünn. Von wichtigeren Gegenständen, mit denen er sich eingehend beschäftigte, sind zwei hervorzuheben, deren Berathung sich durch eine Reihe von Sitzungen hinzog: erstens Grundsätze „zum Schutze des kleinen Gewerbfleißes“ und zweitens der „Entwurf einer Gemeindeordnung“, Verhandlungen, aus denen man noch heute manches profitieren könnte.

Sie währten über das Jahr 1848 hinaus, bis der provisorische Landtag infolge eines am 13. Jänner 1849 gefassten und dem Ministerium vorgelegten Beschlusses seine eigene Vertagung aussprach. Die letzte Sitzung fand am 24. statt, wo Dr. Koppel zum Schlusse seiner Ansprache die Unterbrechung der Sitzungen als eine „auf unbestimmte Zeit, und bis das Ministerium dessen Wiedereinberufung gestattet“, erklärte. Diese Wiedereinberufung hat bekanntlich nie stattgefunden und die vom provisorischen Landtage beantragte Landesverfassung sowie der mit ihr zusammenhängende Beschluss über die Farbe des Landeswappens sind zur Allerhöchsten Genehmigung nicht vorgelegt worden und haben daher keine Gesetzeskraft erhalten.

***

Diese letztere Frage ist bis auf den heutigen Tag unentschieden – adhuc sub judice lis est!


Die mährische Statthalterei hat seit 1849 das Ministerium wiederholt angegangen, eine endgiltige Entscheidung zu treffen. Erst nach langen Jahren, 1888, erfolgte über einen neuerlichen Bericht der Statthalterei ein Ausspruch des Ministeriums des Innern, dahin lautend, dass die Regierung nicht in der Lage sei, die beantragte Richtigstellung der Tinction des mährischen Adlers und hiemit auch die mährischen Landesfarben vor einer allgemeinen Umgestaltung des Reichswappens in Verhandlung zu nehmen. Insofern jedoch der roth und gold geschachte Adler bereits dermalen als das amtliche mährische Landeswappen von Seite des Landesausschusses und der Statthalterei anerkannt und gebraucht, und auch von einzelnen Vereinen auf Grund Allerhöchster Special-Bewilligung darin in gleicher Weise auf ihren Fahnen geführt werde, unterliege es keinem Anstande, dieses Wappen auch fernerhin bis zu dessen endgiltiger Richtigstellung im Sinne des kaiserlichen Diploms vom Jahre 1462 in Anwendung zu bringen.

Augenblicklich steht die Sache so, dass für die mit dem mährischen Landeswappen versehenen Vereinsfahnen in deutschen Gegenden des Landes meist Gold, in den slavischen meist Silber zur Geltung kommt. Die Bevölkerung selbst hält in überwiegender Mehrzahl an den ursprünglichen Landesfarben weiß-roth-blau bis zum heutigen Tage fest.